Ein Interview, das Nikola Gottschick im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Fachhochschule München für Kommunikationsdesign im Juli 2006 mit Sonja Breuer führte:

• Haben Sie ein weibliches Vorbild?
Zunächst einmal möchte ich das nicht auf Personen beziehen, sondern auf glückliche Umstände in Zeit und Raum. Wie zum Beispiel die Zeit der Suffragetten, denn das ist eine sehr wichtige Zeit gewesen für uns moderne Frauen. Sie gab uns ein frühes Bild, eine vorangegangene Möglichkeit von weiblicher Präsenz im öffentlichen Raum. Hier entstand ein Zeitfenster, in dem Frauen – zunächst nur über die rein politische Dimension –sichtbar wurden. Dann gibt es natürlich die ganz großen PersonInnen-Vorbilder, die mich geprägt und mir geholfen haben. An dieser Stelle Dank an Alice und an Simone. Trotz aller Aussagen, die gerade Alice Schwarzer hinsichtlich weiblicher Angleichung an Männer getroffen hat – die ich nicht nachvollziehen kann, weil sie mir zu sehr aus dem soziologischen Ansatz und nicht aus der biologischen Geschlechterdifferenz kommen – hat sie einen Meilenstein gesetzt. Vieles an der weiblichen Emanzipationsbewegung ist auch ein Rückschritt, der sich auf ein sehr konservatives Frauenbild bezieht, wo ich mir nicht sicher bin, ob ich mich damit anfreunden oder es ablehnen soll. Zum Beispiel dieses Hexen- und Kräuterdasein in der Esoterik, die weise Frau, die Hebamme, das einhergeht mit einem unglaublich konservativen Weltbild, in dem die Frau, obwohl die weibliche Wesensnatur stark zum Ausdruck kommt, in der patriarchal, vertikalen Hierarchie trotzdem unten landet. Mein ganzes Denken von weiblich und männlich hängt natürlich zusammen mit hierarchischen und heterarchischen Vorstellungen und ob man die böse, böse Hierarchie überhaupt böse nennen Darf. Wenn man sich das in der Natur so ansieht, dann ist das nämlich alles eine Hierarchie, allerdings fern von unserem Wertesystem mit böse und gut. Diese natürliche Hierarchie ist mir sehr sympathisch und so möchte ich auch die Erklärung von männlich und weiblich finden, denn alles ist ein Holon.

• Was ist ein Holon?
Ein Holon ist ein Teil, welcher ein Ganzes ist in einem größeren Teil, welcher wieder ein Ganzes ist in einem noch größeren Teil und so fort. Eine kleine Einheit funktioniert in sich wie ein Ganzes, ist aber gleichzeitig ein Teil von einem Ganzen. Man kann sich das wie diese russischen Babuschkas vorstellen. Es gibt die kleinen Babuschkas und diese stecken in immer größeren Babuschkas. Der Unterschied zum Bild mit den Babuschkas ist allerdings, dass das größere Holon nicht nur in seiner körperlichen Ausdehnung größer ist und deshalb kleinere Babuschkas, also kleinere Holons in sich fassen kann, sondern dass grösser auch grundsätzlicher, fähiger und komplexer bedeutet. Und so werden »kleinere« Holons mit ihrem geringeren Funktions- und Fähigkeitenlevel in eine gewisse Hierarchie verwiesen, also in ihr geborgen, irgendwie geliebt, nicht unterdrückt, sondern gebraucht. Das ist mir eine sympathische Vorstellung von Hierarchie, weil es keine vertikale Hierarchie ist, in der das Weibliche (übrigens auch das Weibliche im Mann), meist unterdrückt unten landet und das Männliche (übrigens selten das Männliche in der Frau, da dies als unweiblich empfunden wird) meist oben. Und es ist keine Heterarchie, in der alles gleich ist, denn das stimmt nicht. Wir, Frauen und Männer sind verschieden, und das ist gut so, haha! Wenn ich die holistische Hierarchie betrachte, kann ich beginnen zu fragen, wo ist hier das Männliche und wo ist das Weibliche angesiedelt, wie lässt sich das alles kombinieren und vor allem, was habe ich zu lernen? Es stellt sich dann die Frage, was müssen Männer und was müssen die Frauen lernen, was müssen Männer vergessen, was müssen Frauen vergessen? Mich interessiert in meiner Theaterarbeit - also wenn ich Stücke entwickle mit Menschen, die sich natürlich in der Gegenwart befinden - ob es mir gelingt eine Arbeitsversion zu entwickeln, die schon eine zukünftige ist. Die aus der Zukunft sprechen kann in die Gegenwart hinein, so das wir als Ergebnis eine Progression schaffen, welche die Gegenwart überwindet. Mit Überwinden meine ich Entwickeln und Setzen der Behauptung, dass das zukünftige Leben und Wissen schon Gegenwart ist. Im Spiel nähern sich die SchauspielerInnen mit ihrem Wesen dieser futuristischen Version der Gegenwart an.

• Was ist für Sie Weiblichkeit?
Was ich für mich, Sonja, als eigene Weiblichkeit entwickelt habe, ist eine raffinierte Eloquenz im Gespräch, die sehr integrativ ist, die voraus schaut und voraus fühlt. Mir persönlich ist sehr wichtig, dass ich diese heldische Konfrontationsenergie herausnehme, weil sie nichts bringt, sie ist sehr endlich. Ich versuche mit sehr viel Humor in das Gespräch eine formgebende Kraft zu bringen, die auf Versöhnung abzielt. Das habe ich im Theater gelernt. Das mache ich seit 20 Jahren und ich kann das mittlerweile in meinem Theater, dem Liebfrauentheater München, auch vorführen. Wenn ich Unterricht gebe und mit meinen SchülerInnen Versuche mache, kann ich männliches und weibliches Reaktionsvermögen sichtbar machen. Es ist erschreckend, wie klischeehaft das alles läuft. Da ist nicht viel von freiem Willen oder Individuation zu spüren. Das Meiste ist Unsicherheit, die hilflos eitel auf Bekanntes zurückfällt. Aber dies geschieht natürlich geschlechtsspezifisch. Es gibt diese weiblichen und männlichen Chiffren. Bei z.B. Spielversuchen mit dem Thema Status hohes und Status niedriges Verhalten, nehmen die Frauen immer den niedrigen und die Männer immer den hohen Status, allerdings auf der patriarchalen Werteskala gesehen, ein. Soweit die allgemeine Einschätzung. Ich würde das gar nicht so sehen. Ich würde eher behaupten, Frauen verhalten sich tendenziös »weise«, die Männer tendenziös »dumm«, weil sie meist auf Endlichkeit, Konfrontation und auf Kampf und Erniedrigung des Gegenübers abzielen, die Frauen aber meist sozial intelligenter, verbindlich und versöhnlich reagieren, indem sie sich unterordnen. Konfrontiere ich meine Schülerinnen aber z.B. damit, dass sie sich untergeordnet haben, nehmen sie selbst für sich, coram publico, meist Distanz zu ihrem eigenen Verhalten ein, weil auch sie bereits den patriarchalen Wertekanon unreflektiert verinnerlicht haben. D.h. Frauen sind auch heute von Hause aus erst einmal Hüterinnen des Patriarchats und müssen durch riskantes Denken erst Feministin werden. Emotional entsteht natürlich ein Riesendruck, wenn man nicht denkt.(Gerade wollte ich sagen, das dies auch für Tiere gilt, haha...)

Was ich für die Frauen wünsche, ist, dass sie aus ihrer Opfer-Power herauskommen, d.h. sich ihr Druck selbstbewusster entlädt, irgendwie schöner. Heute existiert immer noch eine Weiblichkeit mit Ketten und die ist nicht schön. Ich bin Ästhetin.

Ich sehe auch diese gläserne Decke, von der Alice Schwarzer spricht, dass mit der Geburt des ersten Kindes in der Regel die Frau ihr Studium beendet, nicht der Mann. In diesem Moment stoßen diese, ach-so-emanzipierten Töchter, an die gläserne Decke. Sie verstehen gar nicht, was mit ihnen passiert, weil sie immer dachten, sie seien gleichberechtigt. Eben nicht. Heute befinden sie sich sogar in einer noch übleren Situation, weil sie nicht mal verheiratet sind, wenn sie Mütter werden. Die verheiratete oder geschiedene Mutter hat in der heutigen Gesellschaft einen veritablen Stand und kann sich auf ein etwas finanziertes Leben mit einem Kleinkind einstellen. Diese vermeintlich emanzipierten jungen Frauen, die ohne Absicherung, also ohne Unterhaltsanspruch mit ihren kleinen Kindern alleinerziehend sind, bilden eigentlich das neue Proletariat. Der Staat schützt im Besonderen die Familie. Das ist in unserer heutigen Zeit eine konservative Bodenlosigkeit gegenüber dieser jungen Menschengruppe, denn es gibt viele alleinerziehende Frauen, die aufgrund ihrer weiblichen Lebenskondition in die Sozialhilfe fallen. Dabei leisten sie sehr wohl ihren gesellschaftlichen Beitrag. Das ist bitter, weil sie mit allen Strafen des Patriarchats konfrontiert werden: Armut, Inhaftierung, Denunziation... Das tut mir richtig weh. Ich habe des Öfteren versucht in Produktionen Mütter mit Kindern zu integrieren. Wir sind ein progressives Avantegardetheater und müssen um das Überleben kämpfen. Ich als Chefin des Liebfrauentheaters, so dachte ich, kann doch nicht Frauen, begabte arme Künstlerinnen, ausgrenzen, die kleine Kinder haben – aber es funktioniert nicht. Man kann eine Probe nicht strukturieren lassen durch einen Säugling, der an die Brust muss. Für diese Kombination von weiblicher Lebenskondition als gesellschaftlich offiziell honoriertem - und das meine ich wirklich monetär – Tatbestand, kämpfe ich. Das funktioniert nur über die Kraft des Geldes. Wie sagte Joseph Beuys? »Hausfrauengehalt«! Frauen haben ein großes Training im Verzicht. Sie besitzen eine enorme Integrationskraft, die honoriert werden muss. Oft verhindern sie selbst, dass sie auf die Rechnung kommen, dass man mit ihnen rechnen muss. Normalerweise wird eine Frau, wenn sie z.B. für die menschliche Nähe, die sie herstellen kann, Geld will, sofort denunziert. Sie ist dann gierig. Wenn man über männlich und weiblich nachdenkt, muss man auch über das Geld denken, denn - erlaube mir diesen Allgemeinplatz – auf dieser Welt wird alles vom Geld bestimmt.

Denken wir etwas über Geld. Wo, wann, wie entsteht es?
Irgendwie fällt auf, dass es immer dort am ehesten entsteht, wo die größte Ferne besteht zwischen Menschen, zum Beispiel an der Börse. Dort, wo die größte Nähe ist, zum Beispiel zwischen Mutter und Kind, entsteht kein Geld oder sehr wenig. Eine Tagesmutter, die also ein fremdes Kind betreut, bekommt beispielsweise von der Stadt München in der Stunde 3,50 Euro.

Wenn ich mir vor meinem inneren Auge das Wesen des Geldes vorstelle, also welchen Geist das Geld hat, was für einen Charakter diesem Golem eignet, dann ist das kein liebevoller, kein sozial konstruktiver. Wir haben es mehr mit einem frankensteinschen Monster zu tun. Natürlich kommt jetzt von materialistischer Seite der Einwand, Geld ist doch nur Papier bzw. virtuelle Buchung (virtuell kann man an dieser Stelle als modern materialistisch setzen, da dieses virtuell natürlich nicht spirituell ist). Aber vielleicht lassen sich auch die Materialisten einmal hochziehen und verführen, um über die Wesenheit des Geldes zu meditieren. Geld und alle seine Äußerungsformen sind in einem hochaggressiven Aggregatzustand, gestern und heute. Es grenzt alle aus, die nicht in seinem Besitz sind. Es ist ein grausamer Fürst, ein allein regierender Tyrann. Und es kann sich nicht schenken, weil es sonst seine Macht verliert. Geld hat Angst vor dem Zustand des Nichtgeldes. Geld verteilen einfach so, würde heißen, sein Wesen zu verändern. Die würde bedeuten, es als sanftes Tauschmittellamm zu erschaffen. Jemand, der heute sein Geld verschenkt, riskiert die Armut, ja sein Leben, wenn er alles gibt. Was könnten wir tun, damit es morgen anders ist? Wir könnten alle menschlichen Fähigkeiten, also den gesamten menschlichen Fähigkeitenpool als des geldeswert benennen. Dies würde das Ende der Selektion - du bist Geld wert, du bist kein Geld wert, also darfst du leben und also darfst du nicht leben, weil du diese oder jene Fähigkeit hast und weil du diese nicht hast – bedeuten. An dieser Stelle kommt dann immer der Einwand mit der Leistung und was eine Leistung ist und was keine Leistung ist. Und hierbei fällt natürlich auf – ich weiß, dass ich schon längst notorisch wirke – dass weibliche Fähigkeiten eher keine Leistung im Sinne des Geldes darstellen und die männlichen Fähigkeiten fast synonym als Leistung gewertet werden. Und dann wird gesagt, wer nichts leistet, soll nichts essen, also in der Bibel, wer nicht arbeitet, soll nicht essen. Also männliche Leistung ist gleich Arbeit ist gleich Essen. Obendrein wird das natürlich schichtspezifisch konterkariert, weil weder reiche Frauen noch reiche Männer arbeiten müssen, sondern nur deren Geld »arbeitet« dann. Aber das führt jetzt zu weit. Also noch einmal zusammengefasst: es wäre gut, wenn auch weibliche und humanistische und künstlerische Fähigkeiten angemessener geldwert werden würden. Damit wäre das Geld daselbst ein gerechterer Repräsentant für das, was wirklich existiert. Und ein komplexerer und präziserer Indikator für unsere gesellschaftliche Entwicklung obendrein.

Deine Frage war, was ist für mich Weiblichkeit, nicht wahr?

• Ja.
Was sie für mich persönlich ist, habe ich eingangs gesagt, was sie hinsichtlich des Geldes ist, habe ich zwischenzeitlich gesagt und jetzt möchte ich eigentlich über Weiblichkeit nur noch sagen, dass sie unentbehrlich ist. Ohne funktionierende Weiblichkeit würde alles sofort zusammenbrechen. Sie ist bis heute privat und unterströmt jede Begebenheit in unserem Leben. Da, wo sie öffentlich wird, wird sie vom männlichen Blick definiert, z.B. im Rotlichtmilieu, und damit wird das Weibliche in seiner Integrität zerstört. Das Patriarchat teilt Weiblichkeit bis heute in verdaubare Parte, und ach, auch wenn es alt gehört ist, ich sage es trotzdem: in die Heilige, in die Hure, in die Mutter … ja, zugegeben, Feministinnen haben die letzten 70 Jahre vieles oft gesagt und oft gebetsmühlenartig anstrengend, stimmt. Aber das ist nichts gegen die Patriarchen und Primär- und Sekundärmachos, die wiederholen sich nämlich seit Jahrtausenden!!! Hinzu kommt die Trennung von öffentlich und privat, welche meiner Meinung nach definitiv nicht weiblich ist. Frauen sind immer gleich so persönlich, so emotional, nicht wahr? Ihhh … die Kultur der Trennung von privat und öffentlich ist meines Erachtens ein krimineller, gegen die Menschlichkeit gerichteter Vorgang in patriarchalen Gesellschaften und führt gerade heute in die Möglichkeit den Primat des Ökonomischen absolut zu setzen. So dass Mann und Frau und Kind und Tier und Pflanze jeglicher lebendiger Diskurs geklaut wird. Wie soll es heute noch möglich sein dem Primat des Ökonomischen auszuweichen? Es ist ja schon schwer zu argumentieren, warum man nicht verfügbar ist also z.B. stetig erreichbar durch das Handy!

• Wie sehen Sie die Entwicklung der Weiblichkeit in der Zukunft?
Ich denke, die Zukunft muss weiblich sein, sonst hat die Menschheit keine Zukunft. So sag ich das jetzt mal, denn Vergangenheit und Gegenwart sind männlich definiert. Es ist ein Naturgesetz, dass alles, was unterdrückt wird, irgendwann in die Manifestation drängt und so ist es, denke ich, auch mit dem Weiblichen. Heute erscheint das Weibliche eben immer noch als das Unbekannte, die Unterströmung, das Selbstverständliche. In der Zukunft wird das Weibliche hochgeschätzt und hochbewertet sein, darauf freue ich mich.

• Spielt der Glauben für Sie eine Rolle?
Ich war schon immer zutiefst gläubig. Ich habe schon immer in mir ein archaisches Fühlen von Recht und Unrecht gehabt und das das Kategorien der Transzendenz sind. Ich fühle, dass ich nur in einem Splitter meines Bewusstseins sitze und dass die anderen Puzzlesteine woanders auf mich warten. Ich weiß, dass ich hier eine sinnmachende Bewusstseinsbeschränkung erleben darf, oft auch muss. Ich weiß, dass ich von irgendwoher komme. Ich habe eine enorme Sehnsucht nach dort, wo ich herkomme, denn da möchte ich wieder hin. Und wenn ich davon spreche, weine ich auch immer gleich vor Glück. Siehst Du? Da ist ein tiefes Urwissen in mir, das mich geistig idealische Projekte recht kompromisslos argumentieren und durchziehen lässt. Ich glaube, wir sind alle hier, um etwas zu lernen und wir sollten diese wunderbare Lebenszeit hier nicht verschwenden.

• Welche Zukunftsträume haben Sie?
Nun, eine KünstlerInnen Einsatzgruppe für weibliche Wunden weltweit, so wie GreenPeace arbeitet, nur auf dem künstlerischen Sektor, wäre fein. Wir KünstlerInnen würden dann eine Einsatztruppe an politischen, spirituellen, hygienischen, sozialen, intellektuellen und transzendenten Brennpunkten auf dieser schönen Erde sein, die schnell agiert und vor Ort ist und weibliche Defizite im künstlerischen Sinne benennt und performt. Momentan bin ich aber dabei ein Theater, das zwei Jahre von einem Wasserschaden gebeutelt wurde und nun nicht mehr subventioniert wird, zusammen mit meinem Zauberlehrling, zu retten.

Heute eher ein Schimpfwort. Und eine ziemlich verdruckste Angelegenheit. Feminismus, das sagt man heute nicht mehr, Feministin, das ist man heute nicht mehr. Die feministische Substanz hat sich heute in das Wort GENDER verkrochen. Ich bin immer sehr amüsiert, wenn eine Frau in den Medien – die meiner Meinung nach eindeutig eine Feministin ist - dies aber, wenn sie gefragt wird, ob sie eine sei, abstreitet. Ich selbst bin selbstverständlich Feministin. Ich könnte heute nicht so hier sein, ohne dass es eine Alice Schwarzer gegeben hätte in unserem Land. Insofern sollte man bei der faktischen Wahrheit bleiben und dann kann man sagen, was Frau anders sieht. Ich möchte noch diese Denunziation über das Lesbische erwähnen. Irgendwann sollte ich mich entscheiden, ob ich lesbisch oder normal sei. Denn es ist ja ganz undenkbar, dass eine heterosexuelle Frau einen solchen Männerhass hätte und solche Eigenschaften, solche männlichen. In irgendeiner Beurteilung wurde über mich gesagt: dass ich schon gar keine Frau mehr sei, sondern die Kraft einer männlichen Bulldogge hätte. Naja, dazu kann ich nur sagen: ich bin heterosexuell und kritisiere viel, auch Männer. Gerne spiele ich aber rethorisch weiter, indem ich nicht widerspreche, wenn mir unterstellt wird, dass ich einen starken Männerhass hätte. Dann sage ich z.B. na klar, das haben Sie jetzt aber gut erkannt und sie wissen ja auch, etwas, was wirklich stark sein will, muss gut organisiert werden. D.h. z.B. reflexartige Demontage männlicher Herrenreiterdiskurse, die sich gegenseitig im Gespräch anbalzen und irgendwann alle zu ohnmächtigen ZuhörerInnen machen würden, indem man sie einfach charmant niederlacht. Hihi. Im Übrigen habe ich einen ganz süssen Freund, der das alles versteht.

• Was sind Ihre Ängste?
Ganz normale Existenzängste: Angst nicht überleben zu können, die Miete nicht bezahlen zu können und dadurch die Kraft für die Kreativität zu verlieren. Als freischaffende Künstlerin droht mir diese Gefahr immer. Wo sehen Sie Ihre Stärken und Ihre Schwächen? Meine Stärken liegen im Führen. Ich bin, männlich ausgedrückt, ein General. Ich versuche, die weibliche Dimension des Führens – oder des Verführens – zu definieren. Ich kann strukturieren, ich kann motivieren und ich kann führen. Meine Schwächen, patriarchal definiert, liegen in dieser großen Traurigkeit, die ich habe, und die mich deaktiviert. Patriarchal gesehen ist das eine Depression, aus der man schleunigst wieder heraus muss. Menschlich und weiblich gesehen, kann es auch eine Stärke sein, der Seele die Zeit zu geben sich zu erholen. Das ist immer ambivalent. Nur könnte der Fall vielleicht nicht ganz so tief sein, so unangemessen irrational. Ich halte in meinem Leben immer eine hohe, vielleicht eine zu hohe Spannung und wenn dann diese Traurigkeit kommt, auch wegen einer Kleinigkeit, dann bricht alles zusammen, dann ist das Leben überhaupt nicht mehr lebbar für mich, dann überfällt mich diese radikale Mutlosigkeit, die meist unangemessen ist und während dieser Zustand währt, könnte ich allerhöchstens Rehe begraben. Ich habe einen Freund, der ist Österreicher und der sagt dann in so einem Fall zu mir, dass ich ihm heute als etwas indisponiert erscheine, wie gesagt er ist Österreicher. Außerdem bin ich immer noch zu ungeduldig und vielleicht auch intellektuell zu hochmütig.

• Muss eine Frau heute doppelt so gut sein wie ein Mann, um dieselbe Position im Berufsleben zu bekommen?
Definitiv. Vor allem darf sie das nicht sagen. Sie muss es einfach sein. Wir Frauen sind momentan immer noch «undercover» unterwegs. Im energetischen Geschlechterdiskurs muss man sich ein Pendel vorstellen, welches Jahrtausende lang immer auf einer Seite, nämlich der männlichen, hochgehalten wurde. Wenn es dann losgelassen wird, und das ist passiert, fällt es nicht in die Mitte, sondern schlägt voll ins andere Extrem aus. Insofern ist der radikale Feminismus völlig logisch. Dass die Frauen erstmal schreien und sich rächen ist doch logisch, nicht wahr? Der Feminismus der 70er Jahre ist also eine korrekte Sozialskulptur. Natürlich haben wir, oder einige von uns erstmal stellvertretend geschrieen. Aber heute führt auch der Weg der Frauen, so wie Dutschke das schon sagte, durch die Instanzen. Also durch die Instanzen der bestehenden männlichen Strukturen. Das geschieht immer noch durch Anpassung und Gleichmacherei und dadurch entsteht diese Vermännlichung. Ist doch ganz einfach eigentlich, oder? Es ist emotional nnlichung bereits hinter uns haben, ehe wir durchstoßen und sagen: Schluss mit den Hosenanzügen! Dann kann vielleicht auch die schöne Ästhetik der altgeliebten Erscheinung des weiblichen Kleides ohne Abwertung in Richtung schwach, wieder aufleben und diese Undercover-Tour kann aufhören. Und Frau Merkel trägt vielleicht auch im Bundesstag ganz selbstverständlich wieder einen Rock, obwohl sie natürlich bereits auratisch, charakterlich ein Übergangswesen, irgendwie ein Zwitter ist. Ich finde Sie übrigens prima, und wie sie das macht mit den Jungs. Wirkliche Emanzipation bedeutet Gleichwertigkeit des Verschiedenen und nicht Gleichmacherei. Aber es war emotional logisch, dass das so definiert wurde, zumindest eine gewisse Zeit.

• Haben Sie jemals Ihre Weiblichkeit bewusst genutzt?
Ich habe meine Weiblichkeit als Zwanzigjährige nicht aktiv eingesetzt, sie floss aus mir heraus und dementsprechend verspeisbar sah ich auch aus. In dem Moment als ich gemerkt habe, es wird auf meine Weiblichkeit reagiert, bin ich sauer geworden, mein Intellekt war empört. Ich empfand mich nie als eine Lolita obwohl ich vom Erscheinungsbild, wohl aus Ratlosigkeit, weil mir dies die bekannteste weibliche Inszenierungschiffre war, eine darstellte. Ich habe damals wahnsinnige Reaktionen bekommen, aber nie die, die ich eigentlich wollte. Es war wirklich grotesk manchmal, ich saß mit rot geschminkten Lippen und halb geöffnetem Mund vor den Männern und wollte reden, hihi.
Ich wollte immer reden mit den Männern und die wollten immer das andere. Ich bin zutiefst monogam und nicht triebig. Die Liebe macht mir Lust und die Güte schafft mir Orgasmen. Das andere interessiert mich nur sehr wenig, obwohl ich nicht unsportlich bin. Ich wurde damals schnell als stressig empfunden, weil ich immer reden wollte. So habe ich den Stempel bekommen: die ist kompliziert. Und wehe einer Frau, wenn sie diesen Stempel mal weg hat. Ich sollte mich also entscheiden, will sie hübsch sein oder will sie Künstlerin sein? Ich sollte mich entscheiden, ich wollte mich aber nicht entscheiden. Jetzt mit dem Älterwerden weicht dieser erotische Erfüllungsdruck von außen etwas, aber es kommen andere. Geschlechterspezifische Kritik, die ich jetzt mit 44 Jahren anbringe, kann natürlich ganz schnell als frustriert denunziert werden. Wie langweilig und durchschaubar das alles ist und trotzdem kann dir diese Grundgehässigkeit schaden.

• Gibt es eine weibliche Solidarität?
Nur unter Freundinnen. Das ist fast ein Widerspruch: Weiblichkeit und Solidarität. Das Patriarchat zielt auf die Isolation der Frauen, und das ist ein sehr präziser, strategischer Schachzug. Jeder Mann hat ihn unbewusst drauf. Kennste doch, wie Männer hektisch werden wenn Frauen sich treffen. Die wissen nämlich ganz genau, dass wir im emotionalen Profi-Turbo-Stenogrammstil die essentials austauschen. Und da könnte unter dem Strich die Systemfrage stehen. Historisch sind Frauen darauf trainiert die andere Frau als Konkurrentin zu betrachten. Das Beuteschema der Frau ist das Sammeln und eine Frau muss sich einen Mann sammeln, um im Patriarchat überleben zu können, also um über diesen Versorger ein Fenster zur Welt zu haben. Wenn Frauen dieses Problem erkannt haben, dann sind sie zusammen sehr stark. Das ist dann eine Solidarität, die sehr gewachsen und liebevoll ist. Das ist Luxus.

• Gibt es noch etwas, das Ihnen am Herzen liegt?
Ich möchte, dass die Todesstrafe weltweit abgeschafft wird, das mich mein Vater einmal in seinem Leben in seine Arme nimmt und dass sich die katholische Kirche den Frauen öffnet.